AUSGABE Nr. 15 - KOCHEN IST KUNST! KOCHEN IST KRAWALL!
Aktualisiert: 19. Juni 2022
Bei einem Umzug sorgen sich viele um den Keller, denn der Keller ist der einzige Raum, bei dem nicht nur die Quadratmeter, sondern auch die Kubikmeter komplett zugepackt werden. Ich hingegen fürchte mich nicht vor dem Keller. Bei mir ist es die Küche, denn ich liebe Kochen!
Küche, Kochen und vor allem Köche haben mich schon immer fasziniert. Das Oszillieren zwischen Genie und Wahnsinn bringt die besten Geschichten... und Gerichte hervor.
Kochen ist ein unglaublich kreativer Zeitvertreib und bietet zudem unendliches Potential zur Selbstverwirklichung. Die Bandbreite ist riesig und reicht vom biozertifizierten Haggis bis hin zur lakto-veganen Molekularküche. The sky ist he limit!
Das Thema Kochen ist aber nicht nur ein Ventil der eigenen Kreativität und Ausdrucksmöglichkeit der eigenen Lebensweise, es ist auch eine enorm vielfältige Beschäftigung. Es beinhaltet nebst dem Einkaufen in der Morgendämmerung und der teilweise tagelangen Vorbereitung auch das Anrichten der Speisen. Schliesslich isst ja auch das Auge mit und so wie ein Rembrandt in einen barocken Bilderrahmen gehört, so braucht auch die Remoulade ihren passenden Teller, um zu wirken bzw. zu schmecken.
Im Alltag ist diese Einstellung zum Kochen allerdings nicht sehr verbreitet. Oft blicke ich in erstaunte Gesichter, wenn ich preisgebe, dass ich täglich koche. Ich sehe förmlich, wie im Kopf des Gegenübers grosse Fragezeichen aufsteigen, ähnlich wie Luftblasen im kochenden Pasta Wasser.
Ich nehme es aber als Kompliment schliesslich gibt es da draussen noch jede Menge verrückter Kochfanatiker. Ihr kennt und seht sie einfach nicht, weil sie Tagsüber schlafen und erst nachts im Dunst von Bratfett zum Leben erwachen. Küchen-Zombies, die wie einst Frankenstein ein gutes Herz haben aber nachts aus Isolation und Unverstandensein zu kreativen Bestien werden.
Auch wenn sich viele Spitzenköche damit rühmen: Zen-Buddhismus und Achtsamkeit findest Du in Kochbüchern aber bestimmt nicht in der Grossküche. So wird beispielsweise das Wort «Bitte» ausschliesslich vom Servierpersonal verwendet. Begibst Du Dich allerdings als junger Koch in die umkämpfte Kocharena, solltest Du dieses Wort besser nicht verwenden – es sei denn Du möchtest die ersten beiden Lehrjahre Rhabarber und Spargeln schälen. Spitzengastronomie und Grossküchen sind kein Ort, an dem man Schwäche zeigen sollte, denn der alltägliche Stress lässt keine Höflichkeitsfloskeln zu. Da wird geflucht und gebrüllt.
Kochen ist Chefsache und das ist - wie in Diktaturen so üblich – kein allzu grosser Spass. Es gibt sogar gefeierte Sterneköche, die Mitarbeiter krankenhausreif geprügelt haben sollen. Aber meistens reicht auch schon non-verbale Kommunikation wie zum Beispiel ein Blick oder Fingerzeig auf das Damastmesser, den Nussknacker oder die Hummerzange. Klingt für Dich nach Folterkammer? Nein, DAS ist Grossküche!
Nur wer mal in der Küche gearbeitet hat, kann das nachvollziehen. Ich bin davon überzeugt, dass man auch einen an der Waffel haben muss, um das Irrenhaus Grossküche zu überstehen, zumal man täglich von scharfen Messern und heissem Fritten Öl umgeben ist. Du glaubst die lustigen Köche aus dem Fernsehen zu kennen? Ich kann Dir ziemlich genau sagen, wie sie reagieren, sobald sie ihre Kochkrone aufsetzten:
Brätst Du beispielsweise bei Christian Lohse (Fischers Fritz, Hotel Regent, Berlin) seinen Blauflossen-Thunfisch well done, wirst Du von ihm gewiss kein «Well done!» hören. Vielmehr wird die fleischgewordene Fischkompetenz Deutschlands zur Piranha und verarbeitet Dich zu Fischfutter. Da bleibt für Dich Silberfischchen nur noch das Trostpflaster aus der Küchenapotheke.
Perfektion und Aggression trifft man aber auch ausserhalb von Lokalen an, wo man zum Preis einer Rolex eine mit Lachsmousse gefüllte Mandelhälfte serviert bekommt. Gut bürgerlich ist genauso von Koch-Perfektion und dessen Kollateralschäden getrieben. Bestes Beispiel hierfür ist Frank Rosin - die Koch-Koryphäe aus dem Ruhrpott - dessen Currywurst auch ohne Flüssigstickstoff und Kartoffelkaviar schmeckt. Auch wenn Du gerne im TV über seine Witze lachst – glaub mir eines: Schmeckt ihm deine Wurst nicht, dreht er Dich durch den Fleischwolf. Danach musst Du Dich erstmal wieder sammeln…und später gehen.
Dann gibt es auch noch Tim Mälzer, der mal in einem Interview gesagt hat, dass er nichts tut, um damit Geld zu verdienen, sondern er einfach tut, worauf er gerade Bock hat. Damit hat er für immer einen Platz in meinem Herzen. Ich mag Menschen mit Passion! Aber Achtung: Wir reden hier von meinem Herzen. Täusch Dich also nicht, denn wenn dir im zweiten Lehrjahr in der Bullerei das Soufflé vor seinen Augen zusammenfällt wie ein Heissluftballon, der gerade einen Schiessplatz überfliegt, glaub mir er wird grossen Bock haben sein Magazin mit Kraftausdrücken zu laden und Dich damit zu durchlöchern, sodass Du aus jeder deiner Poren weinst.
Auch die Schweizer Starköchin Meta Hiltebrand wird ihn Ihrer Küche ordentlich Druck machen. Schliesslich hat sie mit meinem Dampfkochtopf eines gemeinsam: sie haben beide einen roten K(n)opf. Du bist also gut beraten in Ihrer Küche ihr Timing einzuhalten und die Anweisungen zu befolgen. Niemand möchte, dass der Dampfkochtopf oder Meta explodieren. Solltest Du dennoch einmal in ihrer Küche einen schlechten Tag haben und eine gute Fee überlässt Dir die Wahl, was in die Luft gehen soll: wähle den Topf sonst kochst Du zukünftig nur noch im Metaverse.
Ja und dann gibt’s noch den Rambo Ramsey, der mit seinem hitzigen Gemüt – und wir sprechen hier von einem Beefer- Grill und nicht von Sous-Vide – schon wegen Körperverletzung angezeigt wurde, weil er sich angeblich mit einem Küchenangestellten nicht über die korrekte Zubereitung von Bananen Parfait einigen konnte…und ich dachte immer ein Apfel hätte uns aus dem Paradies vertrieben?
Irgendwie klingt Adam, Eva und eine Banane seltsam und wenig christlich, oder? Wie dem auch sei…
Wer wie ich Nachspeisen liebt, weiss: Das Beste kommt zum immer zum Schluss. Ein versöhnliches Ende als Dessert! All dem Angstschweiss, all den bitteren Tränen und Blutspritzen zum Trotz: Sie alle tun es nicht aus Boshaftigkeit. Ganz im Gegenteil: Sie tun es, weil sie Essen und das Kochen so sehr lieben, sie tun es, weil sie ihre Gäste lieben und Meister ihres Fachs sind. Natürlich tun sie es auch – damit bist auch Du gemeint Tim - um gegenüber Gourmets, Promis und Gastrokritikern die gesalzenen Preise zu rechtfertigen. Qualität hat eben ihren Preis und ich kenne keinen Berufsstand, der sich das mehr zu Herzen nimmt als Köche.
Die Ramsey’s, Mälzer’s, Hiltebrand’s, Rosin’s und Lohse’s dieser Welt sind kreative Genies, die neue Wege gehen und stets über den Tellerrand blicken. In der Küche hingehen liegt ihr Fokus genau auf dem Teller und wenn Du dann die Polenta aus 30cm Höhe auf den Teller klatscht, gibt es eben eine ordentliche Klatsche. Eine verdiente Klatsche! Aber eine Klatsche aus Liebe zum Kochen und der Perfektion geschuldet. Ich habe allergrösstes Verständnis dafür!
Köche identifizieren sich mit Ihrer Arbeit wie keine zweite Berufsgruppe. Sie leisten Übermenschliches verlangen aber dafür von ihrer Kochtruppe eiserne Disziplin und von ihren Gästen goldene Kreditkarten. Täten sie das nicht – wer sonst würde dann für die prall gefüllte Küchenapotheke zahlen? Wer sonst glaubst du kommt für die Entschädigungen fehlender Fingerkuppen auf, die dir dein Chef fachmännisch abtrennen musste, weil man Dir Frischling einfach alles zweimal sagen muss?! Also nochmals: Die Rinderfilet Kerntemperatur medium liegt bei 56 bis 59 °C. So wie die Katze neun Leben hat, bleiben Dir noch neun Finger. Merkt’s Dir also!
Kochen ist 100% Leidenschaft, 100% Perfektion, 100% Kunst…und 100% Krawall!
Ich könnte noch ewig über die Faszination "Köche & Kochen" weiterschreiben, aber ich muss zurück in die Küche und mich konzentrieren: "Fugu wa kuitashi, inochi wa oshishi", zu Deutsch "Ich möchte Fugu essen, hänge aber an meinem Leben". Brechen wir also an dieser Stelle ab, denn ansonsten wird das hier mein letzter Artikel für das MYTHILO Magazin und das möchte niemand.
Aber was zerbreche ich mir den Kopf; vermutlich freust du Dich, dass die Buchstabensuppe jetzt ausgelöffelt ist und Du in Bälde dem Pizzaboten die Türe öffnen kannst. Jedem das seine aber lass es bitte keine Pizza Hawaii sein!
Nachtrag in eigener Sache: Ich glaube ich habe bei meinen früheren Arbeitgebern keine Karriere gemacht, weil sie, anstatt meine Leistung zu beurteilen, sich jahrelang das Maul darüber zerrissen haben, dass ich meinen Kaffee mit kaltem Wasser verdünne. An all meine früheren ArbeitskollegInnen und Chefs!
EAT THIS: Tim Mälzer tut das auch!
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